18.05.2011

Zum Inhalt

BuchcoverIm Jahr 2225 schreibt Maxim Kammerer an seinen Memoiren. Er ist mittlerweile 89 Jahre alt. Es handelt sich dabei nicht um Memoiren im eigentlichen Sinne. Kammerer blickt auf die Geschehnisse um die »Große Offenbarung« im Jahr 2199 zurück. Dieses Ereignis erschütterte die gesamte Menschheit. Die Menschen sahen sich mit Sachverhalten konfrontiert, mit denen niemand gerechnet hatte. Im Jahr 2199 ist Maxim Abteilungsleiter der Kommission für Kontrolle (KomKon 2). Einer seiner Mitarbeiter ist Toivo Glumow. Der junge Mann hat ähnlich wie Kammerer eine Ausbildung zum Progressor durchlaufen, danach einige Zeit in dieser Funktion gearbeitet, um später den Entschluss zu fassen, wieder auf die Erde zurückzukehren.

Kammerer lässt Glumow verschiedene ungewöhnliche Ereignisse der letzten Jahre untersuchen. Dazu gehören Massenhysterien und Phobien sowie alle möglichen »Besonderen Vorkommnisse« (B.V.). Toivo stürzt sich mit Feuereifer auf diese Arbeit. Ebenso wie sein Chef vermutet er hinter all diesen Ereignissen eine mögliche Bedrohung der Menschheit durch die Superzivilisation der »Wanderer«. Jegliche Progressortätigkeit ist ihm mittlerweile verhasst, weil er es als Fehler ansieht, sich in die Angelegenheiten fremder Zivilisationen einzumischen.

Die Erde im 22. Jahrhundert

Glumow möchte nachweisen, dass die »Wanderer« wirklich existieren und auf der Erde aktiv sind. Er ist von ihrem Einwirken auf die Menschheit überzeugt und erhält sogar die Gelegenheit, seine Analyse dem Weltrat vorzutragen. Sein Chef Kammerer deutet die Fakten aber auf die richtige Weise. Er sendet Glumow auf eine letzte Mission, deren Ergebnis nicht nur ihn selbst verändern wird…

Hintergrund

»Die Wellen ersticken den Wind« erschien 1985 im Original in russischer Sprache. Die Geschichte über Maxim Kammerer findet damit ihr Ende.

Ein ursprünglich geplanter vierter Teil, in dem Maxim in das geheimnisvolle Inselimperium vordringen sollte, konnte wegen des plötzlichen Todes Arkadi Strugatzkis nicht vollendet werden. (Boris Strugatzki in [1], S. 884)

Es ist gleichzeitig auch das letzte Buch der Strugatzkis, welches in ihrem Zukunftszyklus »Mittag, 22. Jahrhundert« spielt. Die Geschichte der Mittagswelt findet damit ebenfalls ihren Abschluss.

Die Helden sind alt geworden – GorbowskiSidorow (Athos) und Komow stehen am Ende ihres Lebens. Wer das Buch aufmerksam liest, erfährt auch, wer die »Wanderer« wirklich sind.

Die Autoren wählen für ihren Roman einen interessanten Stil. Die meisten Teile der Handlung liegen in Berichtsform vor und ergeben zusammen eine beeindruckende Geschichte.

Persönliche Wertung

In diesen Abschnitt des Zukunftszyklus »Mittag, 22. Jahrhundert« zurückzukehren ist für mich immer wieder ein Erlebnis. Trotz der Einzelberichte ist das Buch fesselnd geschrieben und ich kann mich nur schwer davon losreißen. Beeindruckt bin ich davon, wie intensiv die Autoren ein Gefühl für vergehende Zeit vermitteln können. Die Geschichte um Maxim Kammerer beginnt 2157 und endet im Jahr 2225. Durch den Rückgriff auf Ereignisse im 21. und frühen 22. Jahrhundert wird der zeitliche Rahmen sogar noch bedeutend erweitert.

Mir gefällt die fortschreitende Entwicklung in der Mittagswelt der Strugatzkis. Der Leser entdeckt immer wieder neue Details. So lassen zum Beispiel die Autoren durch Toivo Glumow, den eigentlichen Helden des Romans, ausdrücken, wie man sich die Umsetzung von Gesetzen in der Zukunft vorstellen kann. Er stellt dies in einem Bericht wie folgt dar:

»Der Mensch unserer Zeit akzeptiert nur die Beschränkungen und Pflichten, die sich aus den moralisch-ethischen Prinzipien der Gesellschaft ergeben. Jede andere Einschränkung oder Verpflichtung ruft bei ihm ein Gefühl von (unbewusster) Abneigung und (instinktivem) innerem Protest hervor.« ([1], S. 719)

Die Darstellung des Alltags von Toivo und seiner Frau Assja ist interessant und macht die Geschichte noch lebendiger. Sie haben mit ähnlichen Problemen und Situationen zu kämpfen wie wir heute. Die Strugatzkis zeichnen von Toivo ein sehr detailreiches Bild, so dass man ihn sich sehr gut vorstellen und sich in seine Lage versetzen kann.

Interessant ist auch, was man über die Beziehungen zu außerirdischen Zivilisationen erfährt.

Vor der »Großen Offenbarung« machte die Mittagswelt eine Zeit der Stagnation durch. Versinnbildlicht wird dies durch das Schicksal Leonid Gorbowskis. Diese zentrale Figur des Zukunftszyklus steht scheinbar am Ende ihres Lebens. Gorbowski möchte aus Lebensüberdruss sterben. Es ist, als halte die ganze Welt den Atem an. Als Leser ist man tief betroffen. Man konnte den Helden auf verschiedene Art und Weise erleben, konnte beobachten, wie er schwierige Situationen bewältigt. Man bewunderte seine Freundlichkeit gegenüber anderen und seine Art, das Leben einfach nur leben zu wollen. Er ist dem Leser ans Herz gewachsen. Sein Wesen wird treffend mit diesen Worten beschrieben: »Von allen möglichen Lösungen wähle immer die gütigste!« ([1], S. 837) Und dieser Mann soll (will) sterben!?!

Mit Leonid Gorbowski würde eine ganze Epoche zu Ende gehen, in der immer das Gute siegte.

Die Autoren entlassen ihre Leser glücklicherweise in guter Hoffnung, denn Gorbowski schöpft neuen Lebensmut. Dieser Moment ist überaus beeindruckend.  Es ist, als ginge plötzlich die Sonne auf und die drohende Finsternis müsse weichen. Der Leser begreift, das Leben im Zukunftszyklus wird weitergehen, auch wenn man darüber nichts mehr erfahren wird.

Ich habe für mich verstanden, dass die scheinbare Stagnation der Welt des Mittag durch das Streben nach Sicherheit vor äußeren Einflüssen und die fieberhafte Suche nach den „Wanderern“ hervorgerufen wurde. Damit verschenkte die Menschheit einen ganzen Teil ihres Potentials. Es traten Tendenzen und Handlungsweisen auf, die man längst überwunden glaubte. Selbst Zwang und Mord wurden akzeptiert, alles im Namen der Sicherheit der Erdzivilisation. Zum Glück kann diese Phase überwunden werden und auch das Rätsel der »Wanderer« erfährt eine interessante Lösung, die den Leser weiter träumen lässt …

Zum Buch

Russischer Originaltitel: Волны гасят ветер (Die Wellen ersticken den Wind)
Autoren: Arkadi und Boris Strugatzki (auch Strugazki)
Deutsch: Mike Noris (ergänzt von Erik Simon)
Verlag: WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN 2010
Seitenzahl: 202
Ausgabe: Paperback

Quellen

[1] Gesammelte Werke 1 – A. u. B. Strugatzki, WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN 2010

[2] Quarber Merkur 93/94 – Franz Rottensteiners Literaturzeitschrift für SF und Phantastik

Das Bild Erde 22. Jahrundert© BBB3 – Fotolia.com