23.08.2021

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Die Ruckkehr der PhaetonenDmitrij Wolgin, Diplomat, Leningrader Bürger und Veteran des Zweiten Weltkrieges stirbt in Paris. Sein Leichnam wird in einem Bleisarg hermetisch verschlossen und danach in sein Heimatland zurückgeschickt. 

Er soll neben dem Grab seiner Frau die letzte Ruhe finden. Die Wolgins erhielten aufgrund ihrer Verdienste im Großen Vaterländischen Krieg den Titel »Held der Sowjetunion« verliehen. Während Dimitrij als Scharfschütze vierhundert Gegner erschoss, diente Irina als Ärztin in einer Partisaneneinheit und wurde von den Nazis ermordet.

Scharfschuetze Wolgin Auf dem Weg zu Irinas GrabStart der Lenin

Achtzehn Jahrhunderte später wird bei Ausgrabungen ein Sarg mit der sehr gut erhaltenen Leiche eines Mannes entdeckt. Die Forschern finden sogar heraus, wer der Tote war. Die Mediziner der Zukunft beschließen, den Mann wiederzubeleben. Die Arbeiten finden in einem Labor auf Zypern unter Aufsicht des Mediziners Lucius statt. Durch das Vorhaben wird eine weltweite Ethik-Debatte ausgelöst.

 LuciusLucius und MunciusBehandlung der Leiche

Nach fast zehn Jahren ist es so weit und Wolgin kommt zu Bewusstsein. Es vergehen jedoch noch Monate, bis er vollständig wiederhergestellt ist und die Welt der Zukunft erkunden kann. Wolgin träumt davon, Leningrad zu besuchen. Die Stadt hat sich vollkommen verändert. Das alte Leningrad wurde in einen Oktoberpark umgewandelt. Im ehemaligen Stadtteil Pulkowo liegt nun das Zentrum der Stadt. Die meisten Denkmäler sind erhalten geblieben (die Admiralität, die Kasaner Kathedrale, die Anitschkow-Brücke), aber an den Ufern der Fontanka wächst ein Wald, und der Newski-Prospekt wurde in eine Parkallee verwandelt.

 Lucius vor dem WisschenschaftsratWolgin unterwegsIm Aref unterwegs

Der Held, dem ein zweites Leben geschenkt wurde, kann sich trotz der Fürsorge, mit der er von den Menschen der Zukunft umgeben ist, nicht eingewöhnen. Er fühlt sich als Außenseiter. Dimitrij sieht deutlich, dass er seinen Nachkommen geistig und körperlich unterlegen ist. Er sehnt sich nach der Welt seines ersten Lebens und vermisst seine geliebte Frau Irina sehr.

 LeningradIrinas Bild

Da kehrt das Photonenraumschiff »Lenin«, ausgesandt in der Mitte des 21. Jahrhunderts, in das Sonnensystem zurück. Die Mitglieder der Expedition waren acht Jahre unterwegs. Sie besuchten die Planetensysteme der Wega und des Sterns Schwan 61. Jedoch sind während dieser Zeit auf der Erde fast achtzehn Jahrhunderte vergangen.

 Flug in die GewitterzoneDie Wetterstation

Das Raumschiff muss zum Mond Europa fliegen. Seine Triebwerke sind nicht für die Landung in der Nähe bewohnter Gebiete geeignet. Die Besatzung der »Lenin« begibt sich danach zur Quarantäne auf den Mond Ganymed.

Wenige Tage später kommen die Kosmonauten auf dem zentralen Weltraumbahnhof Kosmograd an. Auch Wolgin begrüßt die Raumfahrer und ist über die Ankunft seiner »Zeitgenossen« sehr erfreut. Trotz der Tatsache, dass die Kosmonauten rund hundert Jahre nach seinem Tod ins All gestartet sind, ist der kulturelle Unterschied zwischen ihnen und Dmitrij nicht sehr groß.

Wolgin lebt in den folgenden Monaten mit seinen neuen Freunden zusammen. Endlich kann er das Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit unter den Menschen des 39. Jahrhunderts etwas überwinden. Er fühlt sich außerdem zu der Kosmonautin Maria Melnikowa hingezogen. Sie erinnert ihn an seine Frau Irina.

Beim Studium des Berichts der »Lenin«-Besatzung stößt Wolgin auf Informationen über die Bewohner des Planeten Phaeton. Deren »Raumschiff« war vor rund 1800 Jahren im Dschungel der Venus entdeckt worden. Die Zivilisation der Phaetonen ist viele tausend Jahre älter als die der Erde. Sie lebte einst ebenfalls im Sonnensystem und verlor ihren Planeten durch eine kosmische Katastrophe. Den Phaetonen gelang es rechtzeitig vorher, eine neue Heimat im System der Wega zu finden und dorthin auszuwandern. Die Besatzung der »Lenin« besuchte diesen Stern, konnte jedoch keine Spuren der Phaeton-Zivilisation entdecken.

 Denkmal von Boris MelnikowFlug zum Mars

Inzwischen kennen die Menschen der Erde den Grund dafür. Denn einige Phaetonen besuchten vor Jahrhunderten die Erde. Seitdem stehen beide Zivilisationen in engem Kontakt.

Die Phaetonen haben sich inzwischen mit ihrem neuen Heimatplaneten auf den Weg gemacht und wollen in das Sonnensystem zurückzukehren. Die Menschen helfen ihnen dabei, indem sie den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter vernichten. An dessen Stelle soll die neue Heimat der Phaetonen ihren Platz finden.

Wolgin unternimmt zum ersten Mal in seinem Leben einen Weltraumflug und wird von einigen Besatzungsmitgliedern der »Lenin« begleitet. Auf dem Mars treffen sie zwei Phaetonen.

 PhaetongradAsteroidenjagd

Danach lädt ein Aufräumtrupp die Gruppe zu einem Arbeitseinsatz im Asteroidengürtel ein. Auch Wolgin nimmt daran teil. Die Arbeit des Trupps gleicht einer Jagd. Bei ihrer Arbeit stoßen die Raumfahrer auf den großen Asteroiden F-277. Ihnen ist nicht bewusst, in welch großer Gefahr sie sich befinden. Denn der Asteroid enthält einen uralten Vorratsspeicher mit einem hochexplosiven und sehr gefährlichen Treibstoff für phaetonische Raumfahrzeuge. Der auch »Schwarzer Glanz« genannte Stoff explodiert, eine sehr heiße und radioaktive Wolke breitet sich aus.   

Fast alle Mitglieder des Aufräumtrupps können sich rechtzeitig zurückziehen. Nur das Schiff mit Wolgin an Bord gerät in den Wirkungsbereich der Explosion. Die gesamte Besatzung von I-76 stirbt, Dimitrij kann jedoch gerettet werden.

Wolgin erwacht nach vier Jahren aus einem tiefen Koma und scheint äußerlich gesund zu sein. Sehr schnell stellt sich jedoch heraus, dass er bei dem Unfall eine tödliche Dosis radioaktiver Strahlung abbekommen hat. Selbst die moderne Medizin des 39. Jahrhunderts kann ihm nicht helfen.

 Dimitri und MariaSarkophag fur 1000 Jahre

Für ihn gibt es nur die vage Hoffnung, dass zukünftige Mediziner ein Heilmittel finden. Dazu müsste er sich jedoch in Anabiose versetzen lassen und darin für ungefähr tausend Jahre bleiben. Dimitrij stimmt diesem Verfahren ohne großes Zögern zu, da er mit seinem derzeitigen Leben nicht zufrieden ist. Denn während er im Koma lag, begaben sich die Kosmonauten der »Lenin« auf einen neuen Weltraumflug, der sie erst in tausend Jahren auf die Erde zurückkehren lässt.

Dimitrij legt sich in einen Sarkophag und wird eingefroren. Lucius beschließt, ihm einige Jahre später in die Anabiose zu folgen. Er will sich in der Zukunft um seinen »Sohn« kümmern und ihm zur Seite stehen.

Der Roman endet mit der Öffnung des Sarkophags im 21. Jahrhundert der neuen Ära. Werden die Mediziner Dimitrij helfen können? Was wird er in dieser fernen Zukunft erleben?

Hintergrund

»Der Roman ›Gast aus dem Abgrund‹ wurde 1951 konzipiert und begonnen. Damals war ich davon überzeugt, dass die in dem Roman beschriebenen wissenschaftlichen und technischen Fortschritte in einer sehr fernen Zukunft liegen, und so verlegte ich die Handlung zweitausend Jahre in die Zukunft.

Das Leben hat mir das Gegenteil bewiesen. Und nun bin ich ebenso aufrichtig davon überzeugt, dass Wissenschaft und Technologie viel früher viel mehr erreichen werden, als ich es beschrieben habe.

Aber den Zeitpunkt der Handlung des Romans zu ändern, scheint mir vor allem wegen der ›Phaeton‹-Handlungsstränge unzweckmäßig.

So soll es auch bleiben. Der Leser wird in den geschilderten Ereignissen selbst die Konturen einer nicht allzu fernen Zukunft erkennen können.«

Georgi Martynow

Der Autor begann 1951 mit der Arbeit an seinem Roman und es ist bis heute ein Rätsel, warum er sie auf halber Strecke plötzlich abbrach. Es ist eine bekannte Meinung seiner Biographen, dass der Roman bei früherem Erscheinen, in der russischen Literatur den Platz von Iwan Jefremows »Andromedanebel« hätte einnehmen können. [2]

 Blick ins BuchBlick ins BuchBlick ins BuchBlick ins Buch

Georgi Martynows Roman gehört zu den bedeutendsten Zukunftsvisionen der russischen Science-Fiction-Literatur und steht in einer Reihe mit Jefremows »Der Andromedanebel«, dem Zyklus »Mittag, 22. Jahrhundert« der Brüder Arkadi und Boris Strugatzkis und Georgi Gurewitschs »Мы – из Солнечной системы« (»Wir kommen aus dem Sonnensystem«). [3]

Persönliche Wertung

Der Roman handelt von einem Mann aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, der sich plötzlich in einer »strahlenden Zukunft« wiederfindet – einer idealen kommunistischen Welt. Ich mag dieses Buch, weil der Autor sich für die Beschreibung seiner Zukunftsvision viel Zeit nimmt. Viele kleine Details sind exakt beschrieben und herausgearbeitet. So zeigt der Autor geschickt und unterhaltsam, wie die Menschen seiner Zukunft zusammenleben, wie sie mit Nahrung versorgt werden, große Entfernungen zurücklegen und politische Entscheidungen treffen.

Bei der Beschreibung der Zukunftswahrnehmung des Helden geht es vor allem um seine psychologische Wahrnehmung.  Aus dem Unbekannten wird eine Spannung erzeugt und führt dazu, dass es dem Helden nie gelingt, sich in der freundlichen und für ihn wünschenswerten Welt einzurichten. [3]

Die Schwierigkeiten Wolgins in der Welt des 39. Jahrhunderts treiben die Handlung entscheidend voran. Denn es gibt keinen globalen Konflikt in diesem Roman: Niemand greift jemanden an, niemand kämpft gegen das Böse in der Welt. Trotzdem nimmt das Buch seine Leser gefangen.

Drei Punkte machen den Roman so bemerkenswert. Zum ersten war es Martynow sehr wichtig zu zeigen, dass jeder Bewohner seiner Welt das Recht und die Möglichkeit hat, am demokratischen Entscheidungsprozess gleichberechtigt teilzunehmen. Für die Menschen seiner Zukunft ist es selbstverständlich, ihre Meinung zu äußern und sich an weltumspannenden Diskussionen zu beteiligen. Jeder Mensch wird jederzeit und an jedem Ort über wichtige Ereignisse informiert.

Zum zweiten werden Entscheidungen über Annahme oder Ablehnung eines Projekts aufgrund ethischer Überlegungen getroffen. Nicht die medizintechnische Machbarkeit der Wiederbelebung eines Menschen aus der Vergangenheit steht im Vordergrund. Sondern die Menschen beschäftigen sich mit der Frage, ob es ethisch richtig ist, für den Verstorbenen eine Entscheidung zu treffen, ohne seinen Willen zu kennen. Der freie Wille jedes Menschen wird als höchstes Gut angesehen.

Der dritte Punkt muss den Autor sehr beschäftigt haben, denn dieses Thema lässt sich in einigen seiner Werke wiederfinden. Er stellt die These auf, dass jeder Mensch an seine Zeit gebunden ist und sich in einer anderen Epoche nicht richtig wohl fühlen würde. Das gilt auch für den Fall, dass diese Zeit auf Prinzipien beruht, für die er unter Einsatz seines Lebens gekämpft und zu deren Sieg er beigetragen hat.

Die Beziehungen zwischen Menschen und außerirdischen Wesen werden als positiv beschrieben. Martynow gelingt es sogar, den Phaetonen gewisse Eigenheiten zuzuschreiben. Der Leser bekommt auf diese Weise ein Empfinden für die andersartige Gedanken- und Gefühlswelt dieser Wesen.

Martynows Vision von einer zukünftigen Gesellschaft ist umfassend, überzeugend und äußerst attraktiv. Es ist eine ideale Welt, ohne jeden Makel. Die Menschen sind frei in jeder Hinsicht, haben Freude an ihrer Arbeit und leisten freiwillig ihren Beitrag für die Gesellschaft. Alles ist automatisiert, die Technologie auf einem sehr hohen Niveau. Der Verbrauch eines Menschen wird durch sein Bewusstsein geregelt! (Jeder nimmt sich nur so viel, wie er braucht!)

Das Nichtvorhandensein ökonomischer Zwänge und sozialer Ungerechtigkeiten führt zu einem angenehmen und harmonischen Zusammenleben aller Menschen. Betrug, Lüge und Gewalt sind verschwunden, weil es dafür keinen Grund mehr gibt. Es wäre interessant und schön, in dieser Welt zu leben …

Zum Buch

Russischer Originaltitel: Гость из бездны (Gast aus dem Abgrund)
Autoren: Georgi Martynow
Deutsch: Maxim Knoll
Verlag: Edition SOLAR-X und TES 2006
Seitenzahl: 333
Ausgabe: Paperback

Quellen

[1] Die Rückkehr der Phaetonen, Georgi Martynow, Edition SOLAR-X und TES 2006

[2] Балабуха А., Бритиков А. Человек и его время: Жизнь и книги Георгия Мартынова

Balabucha A., Britikow A. Der Mensch und seine Zeit: Leben und Bücher von Georgi Martynow // Martynow G. Giania. – – Л., 1989. – – S. 5 – 16.

[3] Julia Tschernjachowskaja – Die Brüder Strugatzki. Briefe über die Zukunft (Черняховская Ю.С. – Братья Стругацкие. Письма о будущем), Монография, Научно-популярное издание, 2016)

[4] Гость из бездны, Георгий Мартынов, Лениздат, 1962 г.

Das Buchcover wurde von Mario Franke gestaltet.

Die Illustrationen stammen aus der russischen Originalausgabe des Buches Гость из бездны – Лениздат, 1962 г. und sind Grafiken des Malers Anatoli Wladimirowitsch Goworkowski.