27.12.2020
Zum Inhalt
Gagh, Sturmkater und Kadett einer Eliteschule, erreicht zusammen mit seinen Kameraden und ihrem Ausbilder die Kriegsfront auf Giganda. Sie sind die letzte Hoffnung des Herzogs von Alaya, dem Krieg gegen das Imperium (Reich) eine entscheidende Wendung zu geben. Doch schon beim ersten Zusammenstoß mit den Truppen des Reichs wird Gagh lebensgefährlich verwundet. Kornej Jašmaa, irdischer Beobachter und Progressor, rettet ihn und reist mit dem Jungen zur Erde. Dort soll Gagh gesund gepflegt, umerzogen und nach Beendigung des Krieges auf die Giganda zurückgeschickt werden.
Kornej nimmt Gagh mit zu sich nach Hause. Er macht ihn mit dem Leben auf der Erde vertraut und erzählt ihm von der Geschichte des Planeten Giganda. Der ehemalige Sturmkater ist zunächst sehr beeindruckt von seinem neuen Zuhause. Er bleibt jedoch misstrauisch und vermutet, dass man nicht ehrlich zu ihm ist. Gagh glaubt anfangs, die Erdbewohner wollten ihn nur auf ihre Seite, um mit seiner Hilfe die Giganda zu erobern.
Der Progressor Jasmaa hat aufgrund seiner Tätigkeit nur wenig Zeit. So bleibt sein Schützling oft allein. Auf eigene Faust erkundet Gagh die Umgebung. Begleitet wird er von dem treu ergebenen Roboter Dramba.
Der Junge kann sich überall frei bewegen, könnte sogar die Null-T-Kabine benutzen, um jeden Ort auf der Erde oder sogar im Sonnensystem zu erreichen. Auf einer seiner Erkundungstouren entdeckt Gagh eine zur Ruhe gekommene Gleitstraße. Dramba erzählt ihm von seinen Erinnerungen an frühere Zeiten.
Aufmerksam beobachtet der Junge das Leben im Haus und stellt viele wechselnde Besucher fest. Er sieht Männer in Uniformen des Reichs sowie in denen des Herzogs. Der Junge begegnet einem jungen Alayer. Dang ist ein genialer Mathematiker, wurde jedoch durch die Folgen des Krieges zum Krüppel gemacht und hasst deshalb das Militär. Gagh dagegen verachtet Menschen mit physischen Mängeln. Es kommt zum Kampf und der ehemalige Sturmkater schlägt seinen Gegner brutal zusammen.
Kornej, besorgt und wütend, stellt Gagh zur Rede. Um ihm das Ausmaß seiner Tat zu verdeutlichen, berichtet er dem Jungen von Dangs Schicksal. Gagh erfährt ebenfalls viele Dinge über seine ehemaligen Anführer. Konfrontiert mit diesen Wahrheiten hinterfragt er sein ganzes bisheriges Leben. Er fühlt sich schuldig und unter diesem Druck wächst ihn ihm der Wunsch, unbedingt wieder nach Hause zurückkehren zu wollen. Kornej gibt jedoch zu bedenken, dass Gagh innerlich noch nicht gefestigt und deshalb eine Gefahr für seine Welt sein könnte.
Einige Zeit später bittet Kornej den Jungen um Hilfe. Gagh trifft sich mit einem alayischen Oberpanzermeister und ist anfangs von dessen Erscheinung und Auftreten beeindruckt.
Im Laufe des Gesprächs bemerkt Gagh jedoch einige Unstimmigkeiten im Verhalten des Mannes und enttarnt ihn als nicht echt. Der Oberpanzermeister ist in Wirklichkeit ein irdischer Progressor und soll am nächsten Tag zur Giganda fliegen.
Gagh legt sich deshalb am Morgen auf die Lauer, bedroht Kornej und den Panzermeister und erzwingt so, dass man ihn in die Heimat zurückkehren lässt.
Wieder auf der Giganda trifft Gagh auf das Nachkriegschaos. Ein Militärkrankenwagen ist in der morastigen Straße steckengeblieben.
Ein Arzt bittet ihn um Hilfe. Der Wagen soll Impfstoff gegen eine Seuche in die nächstgelegene Stadt bringen.
Gagh hilft, den Wagen aus dem Dreck zu ziehen. Er ist endlich daheim…
Hintergrund
Im März 1973 arbeiteten die Gebrüder Strugatzki an fünf verschiedenen Sujets. Am Ende fiel die Wahl auf eine Geschichte mit dem Titel »Der Junge aus der Hölle«. Mit der Arbeit daran begannen sie im Oktober 1973.
Ursprünglich war das Werk als Drehbuch für Mosfilm konzipiert. Der Titel des Drehbuchs lautete »Бойцовый кот возвращается в преисподнюю« (»Der Kampfkater kehrt in die Hölle zurück«). Der Film wurde jedoch verboten.
Auf der Grundlage des Szenarios wurde mit »Der Junge aus der Hölle« begonnen. Laut Boris Strugatzki enthielt die Erzählung »…nichts Neues … die Abenteuer… des Kampfkaters… waren nicht so spannend…«, aber »Gagh selbst war nicht uninteressant…«. ([1] S. 867 – 872)
Die Erzählung wurde 1974 in der Zeitschrift »Aurora« veröffentlich. Im Jahr 1989 erschien sie erstmals, zusammen mit anderen als Sammlung phantastischer Kurzgeschichten unter dem Titel »Mittag, 22. Jahrhundert / Der Junge aus der Hölle« im Verlag Das Neue Berlin auf Deutsch.
Im Rahmen des Projekts »Zeit der Lehrlinge« (»Время Учеников« 1996) schrieb Michail Ouspenski eine Fortsetzung, den Roman »Natternmilch«, der die Konfrontation zwischen den Spezialdiensten Gigandas und den Progressoren beschreibt. Es ist eine freie Nacherzählung, nicht mit der Handlung verbunden und nicht Teil des Universums. ([3])
Persönliche Wertung
Mit der kurzen Erzählung zeigen die Strugatzkis meiner Meinung deutlich, wie schwierig es ist, einen jungen Menschen, aufgewachsen und ausgebildet unter grausamsten Bedingungen, so umzuerziehen, dass er danach ein friedliches und normales Leben führen kann.
Gagh ist Kampfkater, Elitekämpfer und Killer. Als Angehöriger einer militaristischen Gesellschaft, in der absoluter Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten und ihren Befehlen an der Tagesordnung sind, lebt er in einer schrecklichen Welt, die von Krieg und Grausamkeit erfüllt ist. Nur eine Herauslösung aus dieser Gesellschaft, eine Trennung von allen schädlichen Einflüssen, das Bewusstmachen falscher Vorstellungen und Verhaltensweisen können den Jungen vor einem grausamen Schicksal bewahren.
So nimmt Kornej Jašmaa den Jungen mit auf die Erde, in die lichte und heile Welt des Mittag. Was passiert dann jedoch mit jemandem, der gewohnt ist, unter den Bedingungen eines gnadenlosen Krieges auf Befehle zu hören bzw. selbst Befehle zu erteilen? Wie verhält sich einer, der es gewohnt ist, diejenigen zu demütigen, die im Rang unter ihm stehen? Einer, der Grausamkeit und Gelassenheit zugleich zeigen muss und diejenigen aus tiefster Seele hasst, die auf der anderen Seite der Front stehen? Ein kaputter Mensch, in ganz anderen Kategorien denkend als ein Vertreter der Mittagswelt?
Das Leben auf der Erde unterscheidet sich fundamental von seinem bisherigen auf der Giganda. Die friedliche Welt und ihre freundlichen Bewohner reizen und verwirren ihn. Er sehnt sich nach seiner vertrauten Umgebung. Dies kann in seinem Wunsch, ständig seine alte Uniform, statt bequemer Kleidung zu tragen oder dem Verhalten gegenüber Dramba beobachtet werden. Er kommandiert den Roboter wie einen gemeinen Soldaten, lässt ihn Befestigungsanlagen ausheben und eine Waffe herstellen.
Gagh weigert sich zunächst, dem zu glauben, was um ihn herum geschieht. Er nimmt an, die anderen meinen es mit ihm nicht ehrlich, vermutet einen Hinterhalt, eine Illusion, eine Art Test seines Willens und seiner Psyche. Allmählich entdeckt er die neue Welt, mit all ihren nützlichen Technologien, mit all ihrem Fortschritt und ihrer anderer Weltanschauung. Es erscheint ihm unglaublich, dass es eine Welt geben soll, in der die Menschen nicht fähig zu Gemeinheit, Lüge oder Verrat sind.
Eine positive Veränderung im Inneren des Jungen geschieht jedoch in dem Moment, als er die Wahrheit über seine eigenen Anführer und andere falsche Autoritäten erfährt. Er versteht, dass es für den Krieg auf seiner Welt kein richtigen Grund gibt und dass aus diesem Konflikt keine Seite als Gewinner hervorgehen wird. Er begreift zudem, dass er sich von seiner Vorstellung des Herzogs als guten Herrscher verabschieden muss.
Auf dem Höhepunkt seines inneren Konfliktes kommt es zur Konfrontation mit seinem alayischen Landsmann Dang. Gagh verprügelt den ihm vollkommen unterlegenen Gegner brutal und gnadenlos. Später bedauert er dies sehr. Denn nach einiger Zeit beginnt er zu begreifen, warum Dangs Weltanschauung von tiefem Pazifismus und Verachtung für alles Militärische geprägt ist. Der Schwächling ist kein Verräter. Männer wie Gagh waren es, die ihm und seinen Lieben Tod und Elend brachten.
Gagh sieht endlich ein, dass sein bisheriges Leben von falschen Annahmen bestimmt war. Er ist erschrocken über seine eigene Grausamkeit und noch mehr darüber, dass er sie nicht kontrollieren kann. All dies erschüttert ihn in seinem Innersten. Er begreift sich als Gefahr für andere. Denn für ihn ist es ein Leichtes, unschuldigen Menschen großen Schaden zuzufügen.
Eine ihm ungewohnte Situation regt den Jungen besonders zum Nachdenken an. So wird Gagh gestattet, einen Vorgesetzten zu beurteilen. Er analysiert das Verhalten eines alayischen Oberpanzermeisters und registriert dabei intensiv seine eigenen Empfindungen und Gedanken. Schließlich weigert er sich, dessen Befehlen zu gehorchen. Der ehemalige Kampfkater macht also Dinge, die einem gewöhnlichen Soldaten völlig zuwider sind. Dadurch erkennt der Junge jedoch, dass er für sein Schicksal ganz allein verantwortlich ist.
Die moralische Transformation des Jungen beginnt nicht sofort. Es scheint sogar, dass sie überhaupt nicht geschehen wird, das seine tief verwurzelten Grundprägungen stärker sein könnten. Denn fast am Ende der Erzählung bedroht er das Leben zweier Menschen, um die Reise zu seinem Heimatplaneten zu erzwingen.
Den ehemaligen Soldaten auf seinem Weg zu begleiten, macht diese Erzählung so überaus interessant und spannend. Bis kurz vor Schluss wird nicht deutlich, ob Gagh die Hinwendung zu einem Leben ohne Gewalt und Grausamkeit gelingen wird.
Erst in der letzten Szene erkennt der Leser, dass der Junge sich von einem brutalen und gnadenlosen Krieger zu einem hingebungsvollen Soldaten entwickelt hat. Der Mörder – der Kampfkater – existiert nicht mehr. Gagh wird seinen Weg gehen, anders und besser als je zuvor.
Zum Buch
Russischer Originaltitel: | Па́рень из преиспо́дне (Der Junge aus der Hölle) |
Autoren: | Arkadi und Boris Strugatzki (auch Strugazki) |
Deutsch: | Erika Pietraß (ergänzt von Erik Simon) |
Verlag: | WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN 2012 |
Seitenzahl: | 132 |
Ausgabe: | Paperback |
Quellen
[1] Gesammelte Werke 4 – A. u. B. Strugatzki, WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN 2012
[2] Парень из преисподней – russische Wikipedia (Stand 27.12.2020)
[3] Время учеников – russische Wikipedia (Stand 27.12.2020)
Die Illustartionen des Künstlers N. M. Lisogorsky stammen von der Seite »Фантасты братья Стругацкие: Иллюстрации: Юрий (Георгий) Георгиевич Макаров«. Sie erschienen in dieser Buchausgabe: Стажеры – Стругацкий А., Стругацкий – М.: Детская литература, 1985.
Die Veröffentlichung der Zeichnungen in dieser Rezension erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Vladimir Borisov (Redakteur der Seite »Фантасты братья Стругацкие«).