08.06.2011

Zum Inhalt

BuchcoverDie Hitze des Sommers brütet über der Stadt und durchflutet die Wohnung des Wissenschaftlers Maljanow. Seit Tagen sitzt der Forscher über einem physikalischen Problem und steht kurz vor dem Durchbruch. Sein Forschungsthema ist die diffuse Materie in Sternentstehungsgebieten. Heimlich nennt er seine Entdeckung schon »die Maljanow-Kavernen«. Frau und Kind sind im Urlaub – nichts kann ihn ablenken. Die Arbeit geht gut von der Hand und Maljanow glaubt sich bald am Ziel. Plötzlich wird er durch ungewöhnliche Ereignisse unterbrochen. Ständig rufen ihn vollkommen unbekannte Personen an. Ein Bote liefert einen Geschenkkorb mit Delikatessen, den offensichtlich seine Frau bestellt haben muss. Je energischer Maljanow versucht, seine Arbeit fortzusetzen, umso mehr nehmen die Störungen zu.

Eine überaus attraktive junge Frau klingelt an der Tür. Sie ist eine Freundin seiner Ehefrau Irka und bittet um eine Übernachtungsmöglichkeit. Später erhält Maljanow Besuch von einem Nachbarn. Mit Snegowoi, ebenfalls Wissenschaftler, hatte er bis jetzt keinen engeren Kontakt. Später in der Nacht erschießt sich der Nachbar. Am Morgen klingelt ein Mitarbeiter des Innenministeriums an Maljanows Tür. Das anschließende Verhör dauert bis zum Mittag.

Maljanows Freunde kommen zu Besuch und erzählen eigenartige Dinge. Sie sind ebenfalls Wissenschaftler, arbeiten aber in anderen Forschungsbereichen. Auch ihre Arbeiten versprechen neue bahnbrechende Entdeckungen und werden plötzlich durch verschiedene ungewöhnliche Phänomene behindert. Ein Freund wird durch einen außerirdischen Gnom mit roten Haaren bedroht und zur Beendigung seiner Forschungsarbeit gedrängt. Einen anderen bestürmen plötzlich ehemalige Geliebte. Anderen begegnen irgendwelche Agenten eines »Bundes der Neun«. Vermutlich beging Snegowoi Selbstmord, weil er dem auf ihn ausgeübten Druck nicht standhielt.

Die Freunde erkennen, dass sie durch irgendeine Macht von ihren Forschungsarbeiten abgebracht werden sollen. Sie können nicht begreifen, aus welchem Grund sie so bedrängt werden. Wer steckt dahinter? Einige der Betroffenen vermuten, dass eine Superzivilisation auf diese Weise auf die Entwicklung der Menschheit Einfluss nehmen möchte. Andere glauben, dass sie mit ihren Entdeckungen gegen ein Naturgesetz verstoßen haben könnten. In diesem Zusammenhang taucht der Begriff »Homöostatisches Weltgebäude« auf.

Wie die meisten Freunde, entschließt sich auch Maljanow schweren Herzens, dem Druck nachzugeben. Diese Entscheidung fällt ihm nicht leicht. Aber die Bedrohung seiner Familie wird zu groß. Sein Sohn Bobka verliert die Fähigkeit zu sprechen. Er »… STÖRT HOMÖOPATHISCHES WELTGEBÄUDE …« übermittelt ihm seine Schwiegermutter per Telegramm.

Maljanow schreibt seine Aufzeichnungen ins Reine. Danach übergibt er die Unterlagen an seinen Freund Wetscherowski. Der will »den Schlüssel zum Verständnis dieses ganzen unheilvollen Mechanismus« finden. Er kann sich Zeit lassen, bis zum Weltuntergang sind es noch eine Milliarde Jahre …

Hintergrund

Der Roman »Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang« erschien 1976 in der Zeitschrift »Snanie – sila« (dt. »Wissen ist Macht«) in russischer Sprache. Die Zensur verlangte hier nur wenige Änderungen. Für eine Veröffentlichung in der Zeitschrift »Awrora« bspw. hätten die Strugatzkis die Handlung in ein kapitalistisches Land verlegen müssen.
Bemerkenswert ist, dass fast alle handelnden Personen reale Vorbilder haben. Die Strugatzkis zählen diesen Roman zu ihren Lieblingswerken. In die Handlung flossen Erlebnisse aus dem Jahre 1974 ein. Boris Strugatzki wurde in diesem Jahr von den zuständigen Organen der sowjetischen Staatsmacht als Zeuge vorgeladen. Dieses Erlebnis muss für ihn sehr bedrückend und prägend gewesen sein. Im Roman wird der hoffnungslose Kampf eines Menschen erzählt, der den Drang verspürt, gegen eine unbarmherzige und unnachgiebige Macht Widerstand zu leisten. Diese Macht ist unerbittlich bei der Verfolgung und Durchsetzung ihrer Ziele. Alles Bemühen ist zwecklos. Es gibt keinen Ausweg. Der Mensch muss nachgeben und dabei ein Stück Achtung vor sich selbst verlieren. (Boris Strugatzki in [1], S. 870 – 872)

Persönliche Wertung

Es ist bedrückend, mitzuerleben, wie ein normaler Bürger unschuldig ins Blickfeld der Mächtigen gerät. Bis dahin unauffällig lebend, hält er sich an die Gesetze und hat sich in seiner Welt eingerichtet. Aber plötzlich ändert sich die Situation. Es reicht die geringste Auffälligkeit, um in den Fokus der Machthaber zu gelangen. Seine Meinung an unpassender Stelle äußern oder die falsche Frage stellen, schon ist es passiert. Dieses Geschehen ist noch immer bittere Realität für Menschen, die in einer Diktatur leben.

Der Roman hinterfragt seine Leser, wie sie auf einen solchen Druck, in einer solchen Situation reagieren würden. Die Antwort ist nicht einfach. Gemeinsam mit anderen wäre es leichter, sich zu widersetzen, aber als Einzelner muss man zwangsläufig scheitern. ([1], S. 335) Nicht jeder ist so stark und mutig wie Wetscherowski.

Der Text besticht durch seine lebendige und bildreiche Sprache. Der Leser spürt förmlich die drückende Hitze in Maljanows Wohnung. Der Held und seine Freunde sind treffend beschrieben. Der Leser kann sich gut in sie hineinversetzen. Aber auch die Randfigur des Hauptermittlers Sykow ist einfach grotesk. Um die Gefährlichkeit der Person und Situation zu unterstreichen, reicht die Beschreibung, er sähe mit seiner Brille wie ein »Tonton Macoute« aus. Auch die anderen Ereignisse, die Maljanow und seine Freunde von der Arbeit abhalten sollen, sind teilweise so absurd und komisch, dass ich beim Lesen des Textes mehrmals lauthals lachen musste. Auch jetzt erinnere ich mich mit einem inneren Schmunzeln an dieses Werk der Strugatzkis.

Die philosophischen Aussagen machen den Roman wertvoll. Die Autoren unterhalten ihre Leser auf intelligente und tiefsinnige Weise.

Zum Buch

Russischer Originaltitel: За миллиард лет до конца света
Autoren: Arkadi und Boris Strugatzki (auch Strugazki)
Deutsch: Welta Ehlert (ergänzt von Erik Simon)
Verlag: WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN 2010
Seitenzahl: 158
Ausgabe: Paperback

Quellen

[1] Gesammelte Werke 2 – A. u. B. Strugatzki, WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN 2010

[2] Quarber Merkur 93/94 – Franz Rottensteiners Literaturzeitschrift für SF und Phantastik

Das Buchcover ist von © Borislaw Zdrebew stammt von der Seite »Фантасты братья Стругацкие: Иллюстрации: Ждребев Борислав (р. 1954)« (bearbeitet!). Es erschien in diesem Buch: Дори насън не виждаме покой. – Пловдив: Христо Г. Данов, 1990.

Die Veröffentlichung der Zeichnung erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Vladimir Borisov (Redakteur der Seite »Фантасты братья Стругацкие«).