24.07.2023
Zum Inhalt
Ein alter Mann hört das Telefon klingeln und eilt zum Hörer. Das Klingeln verstummt, bevor er den Apparat erreichen kann. Er schimpft, bedauert sein schwaches Herz und versucht sich zu erinnern, warum Blumen auf dem Tisch stehen.
Aber er hat Glück, das Telefon klingelt kurz darauf wieder. Es ist eine Stimme am anderen Ende, die ihn ausdrücklich bittet, nicht aufzulegen. Man rufe schließlich aus der Zukunft an und wolle ihn unbedingt sprechen.
Pawel Iwanowitsch glaubt, dass sich jemand einen Scherz mit ihm erlauben will. Der Anrufer bleibt jedoch hartnäckig und kann den Alten überreden, das Gespräch fortzusetzen, da die Zukunft ein besonderes Interesse an ihm habe.
Der alte Mann bezweifelt, dass er und sein Leben für die Menschen der Zukunft wichtig sein werden. Er erzählt von Kampf im Bürgerkrieg und dass er 75 Jahre alt ist. Seine Frau und seine drei Söhne fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Trotzdem lebt er nicht allein, sondern hat Menschen um sich, denen er nach dem Krieg ein neues Zuhause bot. Dennoch fühlt sich Pawel Iwanowitsch aufgrund seines Alters und seiner körperlichen Gebrechlichkeit nutzlos.
Der Anrufer aus der Zukunft kann eine zweite Verbindung zu einer noch früheren Zeit herstellen. Und so spricht Pawel Iwanowitsch mit einer jüngeren Version seiner selbst, als er mit 19 Jahren das revolutionäre Petrograd verteidigt. Er versucht, dem jüngeren Ich Ratschläge zu geben, wie es sich in bestimmten Situationen verhalten soll, um spätere Tragödien zu vermeiden. Doch der Jüngere will und kann ihm nicht versprechen, sich daran zu halten.
Danach meldet sich die Zukunft von neuem. Pawel Iwanowitsch erhält eine geradezu phantastische Lebensperspektive, die ihn glücklich macht. Dann endet das Gespräch, die Enkelin des alten Mannes erscheint und sieht sein verändertes, junges Gesicht...
Hintergrund
Das Hörspiel wurde erstmals 1974 in russischer Sprache in der Zeitschrift »Техника-молодежи« (Nr. 11) unter dem Titel »Млечный путь« (»Die Milchstraße«) veröffentlicht und enthielt auch eine kurze Einführung, die das Leben in Moskau 1974 schilderte.
Die deutsche Fassung »Der Anruf« erschien in der Monatszeitschrift Sowjetliteratur Nr. 11/1983.
Persönliche Wertung
Durch den Blog von Wladimir Larionow »über Bücher, Filme und mehr...« wurde ich auf das Hörspiel aufmerksam und fühlte mich sofort angesprochen.
Das sehr unterhaltsame Gespräch zwischen dem Alten, seiner jüngeren Ausgabe und der Stimme aus der Zukunft gefällt mir sehr.
Der Autor beschreibt eine Situation, die seine Leser bzw. Zuhörer gut nachvollziehen können. Man erhält einen unerwarteten Anruf und nimmt den Hörer ab. Sewer Gansowski ist bekannt dafür, dass er in seinen Werken gerne Menschen mit dem »Unbekannten« konfrontiert. Dabei interessiert ihn nicht so sehr, wie es dazu kommt, sondern wie seine Helden darauf reagieren.
Nur wenige Menschen sind so vermessen, ihr Leben als etwas Bedeutsames und Wichtiges zu empfinden. Sie hoffen, durch ihr Handeln positive Spuren zu hinterlassen und von der Nachwelt nicht vergessen zu werden. Der Alte denkt nicht anders und wundert sich, dass man sich für ihn in der Zukunft interessiert.
Jeder hat schon einmal über die Möglichkeit nachgedacht, bestimmte Entscheidungen der Vergangenheit rückgängig zu machen. Der alte Mann findet Zugang zu seinem früheren Ich, erkennt die Vergeblichkeit seiner Wünsche und kann Frieden mit seinem Schicksal schließen. Was ihm genommen wurde, hat er in anderer Form reichlich zurückerhalten. Diese Erkenntnis macht ihn glücklich und zufrieden.
Die folgenden Worte aus der Zukunft werden sicherlich jeden Leser erfreuen:
» Es gibt kein unauffälliges Leben. Jeder Mensch hat seinen Wert - mit ihm kommt etwas, nimmt seinen Anfang. Sie wissen doch nicht, welch beträchtliche Folgen für die Zukunft die eine oder andere Tat auslösen kann, selbst eine auf den ersten Blick unbedeutende. Alles hinterläßt seine Spur.«
Diese Botschaft ist in meinen Augen etwas Wunderbares, etwas sehr Schönes.
Zum Buch
Originaltitel: | Млечный путь (Die Milchstraße) |
Deutscher Titel: | Der Anruf |
Autor: | Sewer Gansowski |
Übersetzer: | Peter Salzmann |
Verlag: | Sowjetliteratur 11/1983 |
Seitenzahl: | 17 |
Quellen
[1] Sowjetliteratur 11/1983, Monatszeitschrift des Sowjetischen Schriftstellerverbandes, S. 157 – 174
Das Titelbild wurde mit Microsoft Bing Bildersteller erzeugt.